Zur Bewältigung der Corona-Pandemie sind drei Dinge entscheidend: verfügbare Impfstoffe, eine gezielte Teststrategie - und wirksame sowie sichere Medikamente. Dank der rekordverdächtig schnellen Entwicklung von Impfstoffen steigt die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Menschen tagtäglich. Auch die Testmöglichkeiten nehmen zu. Im Vergleich dazu hinkt die Erforschung wirksamer (oder noch wirksamerer) Corona-Medikamente aber noch hinterher. Das muss sich dringend ändern.
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Natalie Müller
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10.6.2021
Warum? Weil eine flächendeckende Impfung der Bevölkerung noch nicht erreicht wurde, weil die Infektionszahlen nach wie vor hoch sind - und weil längst nicht alle Menschen eine COVID-19-Erkrankung ohne Weiteres gut „wegstecken“ (würden): So benötigen bis zu 15 Prozent aller mit dem Coronavirus infizierten Personen eine Behandlung im Krankenhaus. Zwar gibt es inzwischen mehrere Medikamente, die sich bei Patient:innen, die noch selbstständig atmen können, als wirksam erweisen. Doch laut Prof. Dr. Harald Prüß, Oberarzt an der Klinik für Neurologie der Charité Berlin und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), entwickeln manche an COVID-19 erkrankte Personen - genauer gesagt: fünf von hundert - schnell einen lebensbedrohlichen Verlauf, sodass eine intensivmedizinische Behandlung nötig wird. Unter den Intensivpatient:innen, die invasiv (maschinell) beatmet werden müssen - hierzu gehören vor allem Risikogruppen -, stirbt derzeit noch jede/r Zweite. Vor diesem Hintergrund weist Prüß auf die Wichtigkeit wirksamer COVID-19-Behandlungsmöglichkeiten hin: Diese sollen verhindern, dass sich der Zustand von schwer an COVID-19 erkrankten Patienten derart verschlechtert, dass eine invasive Beatmung erfolgen muss.
Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist angesichts der immer noch hohen COVID-19-Fallzahlen, die die Krankenhäuser zunehmend auslasten, besorgt. Aus diesem Grund, so ließ Bundesforschungsministerin Anja Karliczek im April verkünden, hat das BMBF beschlossen, die Corona-Medikamentenforschung voranzutreiben. Wie genau das geschehen soll? Durch Förderung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die erfolgsversprechende Ansätze vorweisen können. Am Geld, so Karliczek, soll es dabei nicht scheitern: In der ersten Runde sollen 50 Millionen Euro zur Unterstützung von zunächst acht Projekten eingesetzt werden; im Rahmen einer zweiten, für diesen Sommer angesetzten Förderrunde soll eine mindestens gleich hohe Geldsumme investiert werden.
Halten wir also fest: Es besteht Hoffnung - die klinische Erforschung von Corona-Medikamenten soll zukünftig an Fahrt gewinnen. Im gleichen Atemzug weist Karliczek aber darauf hin, dass es „[…]nicht die eine Wunderpille gegen Covid-19 geben [wird]". Vielmehr ist es notwendig, verschiedene Corona-Medikamente zu entwickeln. Die Gründe dafür: Zum einen gibt es unterschiedlich schwere COVID-19-Krankheitsverläufe und -stadien - so kann ein Medikament, das zu Beginn der Erkrankung hilfreich ist, bei Patient:innen mit schwerem Verlauf unwirksam oder gar schädlich sein. Das Gleiche gilt auch umgekehrt. Darum muss bei der Erforschung neuer potenzieller Medikamente gegen COVID-19 beachtet werden, welche Medikamente für welche Krankheitsphase am besten geeignet sein könnten. Zum anderen gilt es auch, Medikamente zur Überwindung von Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung zu entwickeln. Die benötigten COVID-19-Medikamentenarten lassen sich in hauptsächlich vier Gruppen teilen:
Generell können sich Viren, also auch Coronaviren, ausschließlich in Zellen vermehren. Virustatika, auch antivirale Medikamente genannt (antiviral = gegen ein Virus gerichtet), können hierbei auf zweierlei Art Abhilfe schaffen: entweder, indem sie verhindern, dass die Coronaviren überhaupt erst in die Körperzellen gelangen (durch vorheriges Abfangen der Viren) oder indem sie verhindern, dass die Coronaviren sich in den Körperzellenvermehren (durch Blockierung des Vermehrungsprozesses). Hierbei wäre die erste Variante - die Coronaviren abfangen, bevor sie zur Lunge gelangen - natürlich ideal. Einige der Virustatika, auf die man in der COVID-19-Forschung setzt, wurden ursprünglich zur Bekämpfung anderer Viren (HIV, Hepatitis, Grippe, Ebola, Malaria sowie „verwandte“ Viren des aktuellen Coronavirus) entwickelt. Diese Medikamente wurden also schon erforscht und teilweise bereits zur Behandlung bestimmter Infektionen zugelassen, wodurch enorm viel Zeit gespart wird. Ein weiterer Ansatz der antiviralen COVID-19-Therapie besteht in der Anwendung sogenannter Antikörpermedikamente – diese basieren auf gentechnisch hergestellten Antikörpern.
Eine COVID-19-Erkrankung führt häufig zur Bildung von Blutgerinnseln in den Organen. Außerdem kann sich die Infektion nicht nur auf die Lunge schädigend auswirken, sondern auch auf Nieren, Herz sowie andere Organe. In der klinischen Forschung werden mehrere bereits zugelassene Herz-Kreislauf-Medikamente auf Wirksamkeit bei einer COVID-19-Erkrankung geprüft: So hofft man, dass diese Medikamentenart Blutgefäße, Herz und andere Organe vor schweren COVID-19-Folgen schützen kann.
Medikamente, die das körpereigene Abwehrsystem verändern bzw. seine Reaktionen dämpfen? Mag seltsam klingen, denn eigentlich sind Immunreaktionen doch etwas Gutes? Ja - und grundsätzlich sind Immunreaktionen auch bei einem mit dem Coronavirus infizierten Menschen wünschenswert. Etwas anderes ist es aber, wenn Immunreaktionen übermäßig stark ausfallen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Zytokin-Sturm“: Bei diesem bei einigen COVID-19-Patient:innen auftretenden Prozess kommt es zur Freisetzung übermäßig vieler Botenstoffe, den Zytokinen. Das Gefährliche: Die übermäßig starke körperliche Abwehrreaktion schädigt die Lunge mehr, als dass sie hilft. Gegen den Zytokin-Sturm sollen Immunmodulatoren, auch Entzündungshemmer genannt, eingesetzt werden: Diese Medikamentenart zielt darauf ab, die Immunreaktionen von COVID-19-Patient:innen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zu dämpfen.
Die Lunge ist ein lebenswichtiges Organ: Ihre Aufgabe ist es, für den Gasaustausch zwischen der Atemluft und dem Blut zu sorgen. So durchströmen etwa 10.000 Liter Luft, wenn nicht sogar mehr, tagtäglich unsere Lungen -und das ganz automatisch. Die Lunge ist beeindruckend leistungsstark - im Normalfall. Bei einer schweren COVID-19-Erkrankung jedoch ist der Prozess des Gasaustauschs stark bzw. lebensgefährlich beeinträchtigt: Der/die entsprechende Patient:in muss dann invasiv mit Sauerstoff beatmet werden. Nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung kommt es nicht immer zur vollständigen Erholung der Lunge: Haben die Coronaviren die Lungenbläschen zerstört, entsteht als Folge Narbengewebe - dieses kann nicht für den Gasaustausch genutzt werden. Wesentlich ausschlaggebend für die Genesung nach einer COVID-19-Erkrankung ist es deshalb, dass sich die Lunge des/der Patient:in auch mit funktionsfähigem Gewebe erholen kann. Hierfür wird nach entsprechenden Medikamenten geforscht: Deren Ziel ist es zum einen, während einer akuten Corona-Infektion zur Aufrechterhaltung der Lungenfunktion beizutragen; zum anderen soll diese Medikamentenart der Lunge nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung dabei helfen, sich - möglichst ohne Folgen - zu erholen.
In der klinischen COVID-19-Forschung geht es also, neben der weiterhin wichtigen Erforschung von Impfstoffen, nicht darum, das eine COVID-19-Medikament zu finden. Da die Erkrankung je nach Patient:in unterschiedlich schwer ausfallen kann und auch Spätfolgen möglich sind, müssen vielmehr mehrere verschiedene COVID-19-Medikamente entwickelt werden.
Fassen wir zusammen: Es werden bereits und sollen auch weiterhin verschiedene Wirkstoffe erforscht werden, um sowohl eine COVID-19-Erkrankung selbst als auch mögliche Spätfolgen wirksam und sicher behandeln zu können. Man darf also optimistisch sein, auch wenn konkrete Erfolge wohl noch etwas auf sich warten lassen. Schließlich setzt sich klinische Forschung bzw. Medikamentenforschung aus komplexen und daher langwierigen Prozessen zusammen. Bis aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden, braucht es seine Zeit. So betont der Coronaviren erforschende Biochemiker Rolf Hilgenfeld, dass „es […] einen großen Unterschied zwischen dem Finden eines Wirkstoffs und dem Entwickeln eines Medikaments [gibt]". Außerdem werden neue COVID-19-Medikamente nicht sofort auf der ganzen Welt für alle Patient:innen verfügbar sein. Zunächst müssen die Medikamente in großer Stückzahl produziert werden. Doch erfreulicherweise haben die Zulassungsbehörden bereits angekündigt, dass sowohl die Genehmigungsprozesse für klinische COVID-19-Studien als auch die Zulassungsprozesse für erfolgreich geprüfte COVID-19-Medikamente sehr zügig ablaufen werden.
Die COVID-19-Pandemie ist noch nicht überstanden. Doch dank klinischer Forschung, die wohlgemerkt ohne zahlreiche engagierte Studienteilnehmer nicht möglich wäre, wird das Licht am Ende des Corona-Tunnels immer heller. Halten wir also gemeinsam noch ein wenig durch. Früher oder später werden wir es ganz aus dem Tunnel herausgeschafft haben.